Zauberland des Sichtbaren: August Endell’s Evolving Dissertation Between Architecture and Psychology, 1895–1925
Dr. Yue Zhao, 2023

Diese Dissertation stellt die ästhetische Legitimität der modernen Architektur in Frage, indem sie die Entstehung der modernen Architektur im Zusammenspiel mit der optischen Psychologie am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland untersucht. Es wird argumentiert, dass sowohl Architektur als auch Psychologie herangezogen wurden, um ein spezifisches historisches Problem anzugehen—die instabile visuelle Umgebung, die durch die Diskurse und Praktiken des subjektiven Sehens hervorgebracht wurde. Ihr Wunsch nach einem “einheitlichen Sehen” ist eng mit einem neuen wissenschaftlichen Paradigma verbunden, das seine Objektivität eher in Techniken als in Konzepten findet.
Der deutsche Architekt August Endell (1871-1925) dient als Wegweiser für diese Untersuchung. Ausgehend von seiner unvollendeten Dissertation “Gefühlscontrast” (1895-1896), die er unter der Leitung des Philosoph Theodor Lipps (1851-1914) verfasste, wird Endells Werk als eine sich entwickelnde Dissertation über die Theorie des Gefühls dargestellt, die sich über einen Zeitraum von 1895 bis 1925 von der Linie über die Form bis hin zum Raum erstreckt. Jedes Kapitel dieser Dissertation wird anhand eines Schlüsseltextes behandelt: dem experimentellen Essay über die Wirkung der geraden Linie (1898), dem für die Schule für Formkunst (1904-1914) entwickelten Lehrplan und dem Prosabuch über die Großstadt (ab 1905). Durch die Kontextualisierung dieser verschiedenen Formen des Schreibens in ihrem intellektuellen und architektonischen Umfeld skizziert diese Dissertation einerseits zwei verschiedene Arten des Sehens und zwei alternative Wege der Konstruktion der Lebenswelt, die im Projekt der Moderne miteinander konkurrieren. Andererseits wird gezeigt, wie spezifische psychologische Ideen und Techniken durch architektonische Mittel in unseren Alltag eindringen und wie sie von der technologischen und sozialen Realität der gebauten Umwelt, insbesondere der Metropole, angetrieben, gelenkt und verändert werden.