Fremde Gotik: Charakter und Mittelalterrezeption zwischen Identität und Alterität (1750-1850)
Dissertation: Dominik Müller

Teil des Projekts "Building Identity: Character in Architectural Debate and Design, 1750-1850", finanziert vom Schweizerischen Nationalfonds, Projektnummer 207599.
Diese Dissertation untersucht die Rezeption von mittelalterlicher Architektur anhand des Charakterbegriffs und der kulturellen Konstruktion von Identität. Der antike Begriff wurde in verschiedensten Wissensbereichen allgegenwärtig und fand schliesslich Eingang in die Architekturtheorie. Durch die Verknüpfung einer äusseren Erscheinung mit einem inneren Kern, konnte der architektonische Charakter eine kohärente Verbindung herstellen, zwischen einer bestimmten Zeit, einem Ort und dem Narrativ der Nation.
Als die Wirkmacht der Renaissancetheorien im 18. Jahrhundert abnahm, wurde die Bedeutung der Gotik vielfach überfrachtet. Gleichermassen verwies die mittelalterliche Architektur auf eine Unterbrechung der klassischen Antike und eine christliche wie nationale Kontinuität. Ihre charakteristischen Merkmale verbanden das Gefühl nationaler Zugehörigkeit mit einer Spur orientalischer Fremdheit. Durch formale Ähnlichkeiten wie Spitzbögen, Kirchtürme, Minarette und komplexe Verzierungen wurden gotische und orientalisierte Motive zu Spiegelbildern für Identitätsprozesse, die ineinander übergingen oder ihre Andersartigkeit reflektierten.
Das grösste Rätsel erzeugte der Spitzbogen und der Übergang von der Romanik zur Gotik. Während Reiseberichte über «östliche» Ursprünge spekulierten, integrierten topografische Studien die Gotik in den Mythos der nationalen Architektur.
Entgegen den etablierten Historiographien des «Gothic Revivals», argumentiert diese Dissertation, dass ambivalente Identitäten und soziale Krisen in der Kategorie des Charakters eine künstliche Einheit erlangten. Um diese Instabilität offenzulegen, wird die Rezeption gotischer Architektur neu ausgerichtet, zwischen einem «christlichen Westen» und einem «islamischen Osten».

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